Kolpingsfamilie

Verbandsgeschichte Teil 5

Kolping

1945 bis 1971

Wiederaufbau und Öffnung

     
Zerstörte Minoritenkirche  



Wiederaufbau

Nach Kriegsende begann man unmittelbar mit dem Wiederaufbau des deutschen und österreichischen Kolpingwerks. Mit tatkräftiger Unterstützung zahlloser Mitglieder wurden die Minoritenkirche und das „Haus des Gesellenvereins“ wiederaufgebaut. Dies war auch den großzügigen Hilfeleistungen aus den USA und der Schweiz zu verdanken.

In erstaunlich kurzer Zeit gelang es, wieder tragfähige Grundlagen für eine wirksame Verbandsarbeit zu schaffen, sowohl auf örtlicher wie überregionaler Ebene. Schon ab 1946 beginnt eine rege publizistische Tätigkeit des Zentralverbandes. 1947 findet wieder eine deutsche Zentralversammlung statt. Ein besonders eindrucksvoller Höhepunkt ist der Kölner Kolpingtag im Juni 1949 anlässlich des 100jährigen Bestehens der Kolpingsfamilie Köln-Zentral mit internationaler Beteiligung. Diese Großveranstaltung zeigte die Entschlossenheit des Verbandes, nicht nur die eigenen Aktivitäten neuerlich zu entfalten und weiterzuentwickeln, sondern auch aktiv an der Ausgestaltung der neuen demokratischen Ordnung mitzuwirken.


Massive Spannungen

Mit großen Schwierigkeiten war der Wiederbeginn im internationalen Bereich verbunden. Die Frage der Nachfolge für den 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommenen Generalpräses Theodor Hürth führte zu massiven Spannungen zwischen den Zentralverbänden. Die Forderungen reichten bis hin zur Verlegung des Sitzes des Internationalen Kolpingwerkes in ein neutrales Land. Um den Weg für einen gedeihlichen Neubeginn freizumachen, tritt der im Oktober 1945 gewählte Generalpräses Dahl im September 1947 zurück. Ein entscheidender Schritt auf diesem Wege gelang mit der einmütigen Wahl von Dr. Bernhard Ridder zum Generalpräses im Oktober 1948. Er übte sein Amt bis 1960 aus.

 

Generalpräses Bernhard Ridder




Generalpräses Heinrich Fischer

Wandel durch Öffnung


Die Entwicklung im Kolpingwerk Deutscher Zentralverband durchlief nach 1945 einen tief greifenden Wandlungsprozess. In der alltäglichen Arbeit vor Ort versuchte man zunächst, an die Praxis vor 1933 anzuknüpfen. Aufgrund von veränderten Rahmenbedingungen stellte sich dies allerdings sehr bald als schwierig heraus. Die traditionelle berufliche Wanderschaft, die ja für den katholischen Gesellenverein ein entscheidendes Element gewesen war, kam nach 1945 so gut wie zum Erliegen. Außerdem war der Gesellenverein nicht mehr der alte. Innerhalb der Deutschen Kolpingsfamilie überwiegte der Anteil der beruflich und familiär etablierten Mitglieder („Gruppe Altkolping“) gegenüber der traditionellen Zielgruppe der ledigen Handwerkergesellen („Gruppe Kolping“). Dies führte zwangsläufig zu konkreten Änderungen bei der Verbands- und Bildungsarbeit wie auch beim geselligen Miteinander.

In dieser Umbruchsituation fanden zunehmend Menschen aus unterschiedlichen Berufen und sozialen Schichten Interesse an der Kolpingsfamilie. Dies bedingte bereits in den 50er Jahren einen Öffnungsprozess im Hinblick auf die Zusammensetzung der Mitgliedschaft. Mit Schaffung der „Gruppe Jungkolping“ konnten auch Jugendliche Mitglieder werden. Aufgrund eines Beschlusses der Zentralversammlung im Jahre 1966 stand dann endlich auch Frauen und Mädchen der Weg zur Mitgliedschaft offen. Im Zuge dieses Öffnungsprozesses und der Flüchtlingsströme kam es zu zahlreichen Neugründungen. Von den rund 2800 Kolpingsfamilien im deutschen Kolpingwerk sind weit mehr als die Hälfte in der Phase nach 1945 entstanden. Im Laufe der 60er Jahre wurde soziale Einrichtungen wie die Bildungs- und Familienferienwerke ins Leben gerufen, mit denen das Kolpingwerk seinen Dienst am Menschen, und dies weit über den Kreis der Mitglieder hinaus, beweist.
 
Charakteristisch für diesen Wandlungsprozess ist der Übergang vom Gesellenverein zur Kolpingsfamilie. Dieser Prozess entwickelte sich mehr von der Basis aus und wurde später durch entsprechende programmatische und statutarische Regelungen abgesichert.
Diese Entwicklungen stehen aber auch im Zusammenhang mit äußeren Faktoren. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland bot mit ihrem demokratischen und sozialen Rechtstaatsprinzip dem Verband vielfältige Möglichkeiten der politischen Partizipation. Ebenso stärkten das 2. Vatikanische Konzil und die gemeinsame Synode der Bistümer in der BRD mit ihrer Betonung der Laienverantwortung in der Kirche den Verband in seiner Arbeit.
Auf der Zentralversammlung in Bad Wörishofen 1971 wurden dann auch ausdrücklich die umfassenden gesellschaftspolitischen Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Verbandes als Teil der katholischen Sozialbewegung statuiert. Neben diesem gewandelten Selbstverständnis wurde weitere Akzente gesetzt, z. B. der Begriff "Kolpingwerk" für die überörtlichen Ebenen des Verbandes und die Einführung des Vorsitzenden-Amtes auf allen Ebenen.

Im europäischen Bereich verlief die Entwicklung in ähnlicher Weise, wenn auch zeitlich versetzt. In den 50er und 60er Jahren erfuhr jedoch das Internationale Kolpingwerk im Vergleich zur Vorkriegszeit eine deutlich geringere Ausbreitung. Mit der Beschlussfassung bei der Generalversammlung 1968 über die Entwicklungshilfe, der "Aktion Brasilien" fiel dann allerdings der Startschuss für eine geradezu explosionsartige Weiterentwicklung des Verbandes auf internationaler Ebene.