Juni 2025
1. Weltweit 123 Millionen Menschen auf der Flucht
Seit 2001 macht das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am 20. Juni auf die Situation von Geflüchteten und Vertriebenen weltweit aufmerksam. Aktuell sind laut UNHCR rund 123 Millionen Menschen auf der Flucht – das ist die größte Zahl an Vertriebenen, die je registriert wurde. Etwa 60 Prozent von ihnen sind Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Syrien ist in diesem Jahr nicht mehr auf Platz 1 der Herkunftsländer (fast zwei Millionen sollen bereits zurückgekehrt sein). Inzwischen gibt es mehr Geflüchtete aus Sudan, Venezuela und Afghanistan. Aktuelle Zahlen und Fakten zu Geflüchteten in Deutschland und in der Welt finden Sie in einem Dossier des Mediendienst Integration.
2. Demokratie stärken – rechte Ideologien erkennen und handeln
Rechtspopulistische und -extreme Einstellungen begegnen uns zunehmend im Alltag – ob auf dem Sportplatz, im Kolleg*innenkreis oder im kommunalen Raum. Angesichts des wachsenden Zuspruchs für die AfD, die laut Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ gilt, stehen engagierte Menschen vor neuen Herausforderungen.
Die Mobile Beratung unterstützt seit über 20 Jahren alle, die sich vor Ort für eine demokratische Kultur und gegen menschenfeindliche Ideologien einsetzen. Mit praxisnaher Hilfe zur Selbsthilfe begleitet sie Engagierte, Vereine, Kirchen und kommunale Einrichtungen bei der Frage: Wie können wir in unserer Nachbarschaft aktiv gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Verschwörungserzählungen vorgehen?
Eine neue Publikation des Bundesverbands Mobile Beratung fasst Erfahrungen aus der Beratungspraxis zusammen, gibt Orientierung im Umgang mit rechtspopulistischen Akteur*innen und bietet konkrete Handlungsempfehlungen – besonders auch im Hinblick auf den Schutz Engagierter und auf die Frage, wie demokratischer Einsatz langfristig gelingen kann. Mehr
An dieser Stelle sei auf das Angebot der Beratungsstellen für Antidiskriminierungsarbeit (ADA) hingewiesen. Landesweit stehen an über 40 Standorten Expert*innen mit einem breitgefächerten Beratungsangebot zur Verfügung. Die Beratung kann persönlich, telefonisch oder per E-Mail stattfinden. Mehr.
3. Zusätzlicher Aufenthaltstitel: Vorausschauendes Handeln kann Sicherheit schaffen
Angesichts möglicher politischer Veränderungen in Syrien und einer Zunahme von Widerrufsverfahren durch das BAMF empfehlen wir syrischen Geflüchteten, sich frühzeitig über alternative Aufenthaltstitel zu informieren.
Es ist grundsätzlich möglich, neben einem bestehenden Schutzstatus (z. B. als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter) einen weiteren Aufenthaltstitel zu beantragen – etwa auf Basis von Erwerbstätigkeit, familiären Bindungen oder aus humanitären Gründen (§§ 25, 18a/b, 19c AufenthG). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 1 C 12.12) bestätigt, dass mehrere Aufenthaltstitel nebeneinander bestehen können. Auch das Bundesministerium des Innern hat dies für Geflüchtete aus der Ukraine anerkannt – ein Ansatz, der auf andere Gruppen übertragbar ist.
Zwar bedeutet ein Widerruf nicht automatisch eine Abschiebung, doch kann er Unsicherheit und langwierige Verfahren nach sich ziehen. Deshalb ist frühzeitige Beratung angezeigt – sei es bei einer Migrationsberatungsstelle, einem Rechtsanwalt oder einer anderen qualifizierten Anlaufstelle. Kompakte Informationen zu einem Widerrufsverfahren durch das BAMF finden Betroffene hier.
4. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird ausgesetzt
In den vergangenen 10 Jahren war der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten immer wieder Gegenstand politischer Debatten und wurde abhängig von politischen Machtverhältnissen ausgesetzt bzw. zuletzt auf 1.000 Visa pro Monat begrenzt. Der Bundestag hat nun am 27. Juni 2025 mit großer Mehrheit entschieden, dass der Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutz für zwei Jahre ausgesetzt wird. Künftig sollen subsidiär Schutzberechtigte nur noch in Härtefällen Ehepartner, minderjährige Kinder und im Fall unbegleiteter Minderjähriger die Eltern nachholen dürfen. Im Rahmen der Anhörung im Innenausschuss hat der Deutsche Caritasverband klar Stellung bezogen und die geplante Aussetzung abgelehnt. Ein Zusammenleben als Familie sei elementar wichtig für das Wohlbefinden, die Gesundheit und für die Integration. In der Stellungnahme hat sich der DCV – vor dem Hintergrund der politischen Realitäten – darauf fokussiert, zur Ausgestaltung einer Aussetzung Stellung zu nehmen. Dabei setzt sich die Caritas für eine funktionierende Härtefallregelung und für einen auf den Verfahrensstand bezogenen Stichtag ein. Die Stellungnahme des DCV kann hier eingesehen werden.
Ähnlich kritisch sieht der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, Ralf Nolte, diese Beschränkung und unterstreicht die Bedeutung des schützenswerten Guts Familie. "Die Entscheidung ist nichts anderes als eine Aushöhlung des Grundgesetzes und Missachtung des Kindeswohls. Außerdem steht der Beschluss auf der ganzen Linie im Gegensatz zur gesellschaftlichen Realität, wenn wir an die Themen Fachkräftegewinnung und Integration hier lebender Schutzberechtigter denken. Denn Integration gelingt dann, wenn die Menschen sich als Familie beheimaten dürfen, da sie an deutlich mehr gesellschaftlichen Bezügen teilhaben werden", so Nolte als Reaktion auf die Verabschiedung des neuen Gesetzes.
5. Der vorübergehende Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine wird um ein weiteres Jahr verlängert
Seit März 2022 hat die EU auf der Grundlage der Richtlinie über vorübergehenden Schutz mehr als 4 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine Sicherheit und Schutz gewährt. Der vorübergehende Schutz sollte zuletzt bis zum 4. März 2026 gelten und wird nun bis zum 4. März 2027 verlängert. Darüber hat sich der Rat am 13.06.2025 für die Unterstützung eines entsprechenden Vorschlags ausgesprochen. Der formelle Beschluss soll auf einer der nächsten Sitzungen des Rates beschlossen werden.
Das System des vorübergehenden Schutzes mindert den Druck auf die nationalen Asylsysteme, da Personen, die unter diese Art von Schutz fallen, keinen individuellen Asylantrag stellen müssen. Die Verlängerung bis März 2027 ist für die Vertriebenen aus der Ukraine ein Signal dafür, dass die Beantragung von Asyl nicht erforderlich ist. Näheres kann der Pressemitteilung entnommen werden.
6. Leitfaden zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen
Das Schleswig-Holsteinische Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung hat folgenden hilfreichen Leitfaden herausgegeben: „Die Berücksichtigung von häuslicher und/oder geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber Frauen im Aufenthaltsrecht“. Eigentlich ist die Schrift für Mitarbeitende in der Verwaltung konzipiert, kann jedoch in der Beratung und Begleitung von Betroffenen hilfreiche Hinweise und Tipps beinhalten wie Regelungen zu Wohnsitzauflagen, räumlichen Beschränkungen, verschiedenen Aufenthaltstiteln und zur Beweiswürdigung im Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen. Der bewusst sehr ausführlich gestaltete Leitfaden soll Beratenden gezielt dann zur Seite stehen, wenn diese bei bestimmten Fragestellungen Unterstützung benötigen. Dafür enthält er ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis, zahlreiche Querverweise und eine Vielzahl hilfreicher Links, die die gezielte Recherche erleichtern. Mehr
7. Sozialleistungen im Dublin-Verfahren: Widerstand gegen rechtswidrige Kürzungen wächst
Immer häufiger streichen Sozialämter in Dublin-Fällen Leistungen nach dem AsylbLG – oft ohne rechtlich tragfähige Grundlage. Zahlreiche Gerichte, darunter auch ein Landessozialgericht, haben das Vorgehen bereits als unzulässig beurteilt. Dennoch ruft der Deutsche Städte- und Gemeindebund mit Schnellbrief vom 12.06.2025 zur Missachtung dieser Rechtsprechung auf – unter Berufung auf eine fragwürdige Stellungnahme des BMI, das zentrale Fakten auslässt. Besonders kritisch: Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedskommunen damit möglicherweise rechtswidriges Handeln. Betroffene sollten sich gegen Leistungsstreichungen entschlossen zur Wehr setzen – mit Widerspruch und Eilantrag vor dem Sozialgericht. Nur so lässt sich der Druck aufbauen, der notwendig ist, um rechtsstaatliche Prinzipien und menschenwürdige Lebensbedingungen auch im Dublin-Verfahren durchzusetzen. Die GGUA hat hier eine Übersicht von über 40 positiven Gerichtsentscheidungen zusammengestellt.
8. Machtwechsel in Syrien: Zwischen Hoffnung und Unsicherheit
Der syrische Bürgerkrieg, ausgelöst 2011 durch Proteste in Daraa, forderte über 500.000 Menschenleben und führte zur Vertreibung von Millionen. Die Kämpfe zwischen dem Assad-Regime und teils rivalisierenden sunnitischen Rebellengruppen verwüsteten das Land. Im Dezember 2024 stürzte das Regime durch islamistische Oppositionskräfte unter Ahmed al-Scharaa. Doch der Machtwechsel wirft neue Fragen auf: Ist eine Demokratisierung unter Kräften mit dschihadistischer Vergangenheit denkbar – in einem Staat, der weiterhin von religiösen und ethnischen Spannungen geprägt ist?
Die Bundeszentrale für politische Bildung widmet dem komplexen Übergang nun eine neue APuZ-Broschüre. Auf 56 Seiten werden u. a. Syriens politischer Neustart, die Geschichte der Hai’at Tahrir asch-Scham, der Baathismus, die Rolle ethnischer und religiöser Minderheiten sowie Fragen des Völkerstrafrechts beleuchtet. Auch die Situation syrischer Geflüchteter auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird thematisiert. Mehr
9. Seminarprogramm für junge Migrant*Innen: MPs 2030 – Gestärkt im Engagement
Mit dem kostenlosen Seminarprogramm „MPs 2030 – Gestärkt im Engagement“ unterstützt IMPACT - Civil Society Research and Development e.V. junge Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und sich gesellschaftlich engagieren. In regelmäßig stattfindenden Wochenendseminaren und Online-Veranstaltungen (September 2025 – März 2026) setzen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Zivilgesellschaft in Deutschland auseinander und entwickeln praktische Fähigkeiten, um eigene Projekte zu realisieren. Das Ziel ist das Engagement in Vereinen, sozialen Bewegungen, Parteien und kommunalen Beiräten zu unterstützen. Das Programm richtet sich an junge Menschen im Alter von 18 bis 32 Jahren, die keine Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger von EU-Mitgliedsstaaten sind und während der letzten zehn Jahre nach Deutschland gekommen sind. Die Fahrt- und Übernachtungskosten werden übernommen. Interessierte können sich bis zum 20. Juli 2025 bewerben.
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Gut zu wissen ...
Immer wieder erreichen uns Fragen nach Rechtsprechung und Erlassen u.a. zu Dublin-Verfahren, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, AsylbLG. Um Redundanzen zu vermeiden möchten wir an dieser Stelle auf die Entscheidungsdatenbank des Informationsverbundes Asyl & Migration verweisen. Interessierte können außerdem den Newsletter des Informationsverbundes abonnieren. An dessen Ende steht immer eine Übersicht zur aktuellen Rechtsprechung.
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Herausgeber: Ralf Nolte, Flüchtlingsbeauftragter
Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,